Veröffentlichungen Irrtümer, Mythen, Halbwahrheit

Irrtümer, Mythen und Halbwahrheit


Interessantens und Amüsantes
In unserer Rubrik „Irrtümer, Mythen und Halbwahrheit“ gehen wir den Dingen auf den Grund und korrigieren falsche Aussagen, die im Zusammenhang mit ätherischen Ölen und ihrer Anwendung oftmals unhinterfragt tradiert werden, nach aktuellem Wissensstand.
Das Inhalieren von verschiedenen ätherischen Ölen bei Schnupfen, Husten und Co. ist gleichermaßen beliebt wie wirkungsvoll [1]. Bei der klassischen Inhalation, auch als Kochtopf-Methode bekannt, werden ätherische Öle heißem Wasser zugegeben, der aufsteigende Dampf reißt dann die wasserdampfflüchtigen ätherischen Öle mit. Häufig fragen verunsicherte Anwender*innen in Internetforen zu Aromatherapie und ätherischen Ölen, ob bei dieser Prozedur die ätherischen Öle durch (nahezu kochend) heißes Wasser Schaden nehmen könnten.

In der Fachliteratur gibt es keine Hinweise darauf, dass heißes Wasser ätherische Öle bzw. ihre Inhaltsstoffe verändern oder gar zerstören würde [2]. Aus physikalisch-chemischer Sicht erscheint dies schon deshalb unwahrscheinlich, weil die meisten Terpene und Phenylpropan-Derivate, die in ätherischen Ölen vorkommen, einen deutlich höheren Siedepunkt besitzen als Wasser und etwa bei der Analyse im Gaschromatographen durchaus höheren Temperaturen als 100 °C ausgesetzt werden, ohne dass strukturelle Veränderungen beobachtet worden wären. Zudem müssten Veränderungen/Zerstörung der Duftmoleküle durch kochendes Wasser bereits bei der Herstellung von ätherischen Ölen zum Tragen kommen, zumindest wenn sie durch Wasserdampfdestillation gewonnen werden [3, 4].

Anders sieht die Sache jedoch aus, wenn ätherische Öle direkt mit heißen Oberflächen in Berührung kommen, z. B. bei unsachgemäßer Verwendung von Apparaten zur Raumbeduftung. Unter solchen Bedingungen wurden temperaturbedingte Umwandlungs- und Zerstörungsreaktionen, wie z. B. Oxidation, Polymerisierung oder Pyrolyse, beobachtet [3, 5].

Auch bei falsch durchgeführten Saunaaufgüssen ist es denkbar, dass die Komponenten der ätherischen Öle durch direkten Kontakt mit dem Heizelement verändert oder zerstört werden, obschon diese Frage unseren Informationen zufolge [4] bisher nicht untersucht wurde. Wie Sie einen Saunaaufguss richtig durchführen, können Sie im FORUM-Artikel „Düfte des Waldes für eine starke Gesundheit“ von Gisela Hillert nachlesen [6].

Auch wenn die ätherischen Öle dabei keinen Schaden nehmen, Sie sollten bei der Kochtopf-Methode niemals kochendes Wasser verwenden, denn es besteht akute Verbrühungsgefahr durch den heißen Dampf! Ihre ohnehin angegriffenen Schleimhäute werden es Ihnen danken.

[1] Steflitsch W. et al. (Hrsg.) Aromatherapie in Wissenschaft und Praxis. Stadelmann Verlag. Wiggensbach 2021 (125 ff., 159 ff.).
[2] Oberhofer B. et al. Investigation of the alteration of the composition of various essential oils used in aroma lamp applications. Flavour Fragr J 14 (1999): 293–299. doi: 10.1002/(SICI)1099-1026(199909/10)14:5<293::AID-FFJ829>3.0.CO;2-T.
[3] Turek C. & Stintzing F. C. Stability of Essential Oils: A Review. Compr Rev Food Sci Food Saf 12 (2013): 40–53. doi: 10.1111/1541-4337.12006.
[4] Schmidt E. Persönliche Mitteilung an EH. 16.09.2022.
[5] Steflitsch W. et al. (Hrsg.) Aromatherapie in Wissenschaft und Praxis. Stadelmann Verlag. Wiggensbach 2021 (88 ff.).
[6] Hillert G. Düfte des Waldes für eine starke Gesundheit. FORUM 54 (2019): 21–26.
 

In einigen Büchern zur Aromatherapie liest man, Melissenhydrolat sei bei Herpes simplex-Erkrankungen wirksamer als das ätherische Melissenöl. Begründet wird diese stärker viruzide Wirkung mit den angeblich enthaltenen, die Virenreplikation behindernden Arabinogalactanen.
Bei den Arabinogalactanen handelt es sich um Polysaccharide mit hohem Molekulargewicht. Solche großen Moleküle sind jedoch nicht wasserdampfflüchtig und somit auch nicht im Hydrolat enthalten.

Die hydrophile Ölfraktion (HÖF) des Melissenhydrolats enthält hauptsächlich die Monoterpenaldehyde Neral und Geranial (Citral) sowie Monoterpenole und aliphatische Alkohole mit stark schwankenden Konzentrationen abhängig vom Melissen-Typ [1].

Zur externen Anwendung bei Herpes labialis eignen sich Zubereitungen mit einem Melissenblätterextrakt mit hoher Konzentration an ätherischem Öl, Lamiaceen-Gerbstoffen und Triterpensäuren. Melissenblätterextrakt inaktiviert HSV-1-Viren und blockiert virusspezifische Rezeptoren auf den Epithelzellen. Dies verhindert ein Eindringen des Virus in die Wirtszelle [2].

Lamiaceen-Gerbstoffe vom Typ der Rosmarinsäure zählen nach Schilcher [3] zu den wirksamkeitsmitbestimmenden Inhaltsstoffen der Melissenblätter, wobei wässrige Melissenblätterextrakte innerhalb der Lamiaceen den höchsten Rosmarinsäuregehalt besitzen. Als Wirkmechanismus beschreibt Schilcher ebenfalls eine Bindung der Phenolcarbonsäuren, darunter der Rosmarinsäure, an die Virusproteine und die Proteine der Zellmembran, was die Virusabsorption in die Zelle verhindert. Ätherisches Melissenöl in höherer Konzentration bewirkt dies ebenfalls [3].

«Zur virustatischen Therapie wird ein auf einen konstanten Mindestgehalt an Lamiaceen-Gerbstoffen (berechnet als Rosmarinsäure) standardisierter Extrakt verwendet, der in einer Creme verarbeitet wird.» [3]
Arabinogalactane werden in der Fachliteratur nicht als Inhaltsstoffe genannt.

In ihrem Beitrag in der Fachzeitschrift FORUM 37 berichten Jürgen Reichling und Paul Schnitzler [4] von in vitro-Untersuchungen zur antiviralen Wirksamkeit ätherischer Öle gegen das HSV-1-Virus. So wurde bei 1-stündiger Vorbehandlung der Viren mit maximaler nicht zytotoxischer Konzentration des Prüföls die Virusvermehrung durch Melissenöl um über 98% gehemmt. Eine direkte teraktion mit Viruspartikeln und die daraus folgende Verhinderung des Anheftens der Viren an die Zellen und/oder des Eindringens der Viren in die Zellen wird auch hier als Wirkmechanismus genannt. Die Autoren weisen zusätzlich auf die niedrige für die antiherpale Wirkung erforderliche Konzentration vieler ätherischer Öle hin. So liegt beispielsweise die 50%ige Hemmkonzentration (IC50)für Melissenöl (Melissa officinalis) bei 4,0 mg/ml (Schnitzler et al. 2008). Anlehnung an eine erfolgreiche Pilotstudie mit einem 6%igen Teebaumöl wird eine 3- bis 4-malige tägliche Anwendung weiterer verdünnter ätherischer Öle, wie z.B. Melissenöl (in fettem Öl oder Cremegrundlage) zur Therapie von Lippenherpes empfohlen.

[1] Steflitsch et al. (Hrsg.) Aromatherapie in Wissenschaft und Praxis. Stadelmann Verlag. Wiggensbach 2021 (892)
[2] Wenigmann M. Phytotherapie. Urban & Fischer. München 2017 (461)
[3] Schilcher H. (Hrsg.) Leitfaden Phytotherapie. Urban & Fischer. München 2016 (224, 225)
[4] Reichling J, Schnitzler P. Antivirale Wirkung von ätherischen Ölen gegen Lippenherpes. FORUM 37.2011 (29-34)

In den meisten Büchern über Aromatherapie wird die Legende weiterverbreitet, wie René-Maurice Gattefossé (1881 bis 1950), der französische Chemiker, Parfümeur und Mitbegründer der neuzeitlichen Aromatherapie, zufällig die Wirksamkeit des ätherischen Lavendelöls an sich selbst entdeckt haben soll:

Eines Tages, so die Erzählung, als er in seinem Labor hantierte, habe Gattefossé sich verbrannt. Vom Schmerz gequält, habe er seine verbrannte Hand blind in das nächstbeste Gefäß getaucht, das zufälligerweise ätherisches Lavendelöl enthielt. Erstaunt habe er entdeckt, dass nach kurzer Einwirkdauer des ätherischen Öls von seiner Verbrennung nichts mehr zu sehen war, weder Rötung noch Brandblase.

Robert Tisserand klärt auf:
Nach dem Unfall, der sich wirklich ereignete und bei dem Gattefossé in Brand geriet, habe er sich im Gras gewälzt, um die Flammen zu ersticken, und sich dabei mit dem Gasbranderreger (Clostridium perfringens) infiziert. Die daraus resultierende Gangrän habe er dann gezielt mit Lavendelöl behandelt, da er bereits viele Jahre vor diesem Unfall begonnen habe, die Wirkung ätherischer Öle zu untersuchen.

Quelle:
https://roberttisserand.com/2011/04/gattefosses-burn/

Vielfach wird in Seminaren und Büchern über Aromatherapie bzw. -pflege behauptet, die Anwendung von Mischungen mit einem Gehalt an ätherischem Öl bis zu 3 % sei sicher, also frei von unerwünschten Nebenwirkungen.

Richtig ist jedoch:
Nicht allein die Dosierung entscheidet über Sicherheit oder Unsicherheit von Ätherisch-Öl-Anwendungen, sondern welche ätherischen Öle angewendet werden und zu welchem Zweck. Nicht nur die Konzentration, sondern auch die Inhaltsstoffe spielen eine große Rolle. Aldehyd- und phenolhaltige ätherische Öle wie z. B. Zimt sind stärker hautreizend als bspw. ätherisches Lavendelöl. Ebenso wichtige Parameter für die sachgemäße Dosierung sind die Zielgruppe (Baby, alter Mensch, Person mit Hautkrankheit), die zu behandelnde Körperoberfläche und die Häufigkeit der Anwendung.

In der Aromatherapie arbeiten das ärztliche und das Apothekenfachpersonal Hand in Hand, um die Sicherheit der Produkte zu gewährleisten. Die Ärztin oder der Arzt entwickelt die Rezeptur. Das Apothekenfachpersonal führt dann eine Plausibilitätsprüfung durch. Die Dosierungen von ätherischen Ölen sind in der Aromatherapie oft deutlich höher als 3 %. Dennoch können die Produkte als sicher eingestuft werden.

Rezepturen für Aromapflegeprodukte, also kosmetische Mittel, müssen gemäß der EU-Kosmetikverordnung eine Sicherheitsbewertung durchlaufen. Für einige ätherische Öle bzw. einzelne Inhaltsstoffe gelten weitaus niedrigere Konzentrationsbeschränkungen als 3 %.
​​​​​​​Sicher ist somit eines: Die Globalaussage, 3%ige Mischungen seien sicher, ist falsch.

Quelle: Einschlägige Verordnungen und Gesetze
Häufige Aussagen zur Dosierung von ätherischen Ölen lauten, unter einer physiologischen Dosierung sei die Anwendung von bis zu 1 % ätherischem Öl in Mischungen zu verstehen. In physiologischer Dosierung hätten ätherische Öle keine unerwünschten Nebenwirkungen.

Richtig ist:
Der Begriff „physiologisch“ bezeichnet „die für einen gesunden Organismus normalen Vorgänge, Zustände und Funktionen“. Im Zusammenhang mit Konzentrationen steht „physiologisch“ für eine niedrige Dosierung – z. B. physiologische Kochsalzlösung –, wie sie auch im Körper vorkommt, und impliziert damit eine sichere Anwendung.
Diese Begrifflichkeit gilt es aber zu hinterfragen, wenn es um ätherische Öle geht: Der menschliche Körper enthält normalerweise keine ätherischen Öle. Daher können ätherische Öle oder ihre Dosierung nicht physiologisch sein. Ätherische Öle können maximal eine physiologische Wirkung im/auf den menschlichen Körper erzeugen.

Quelle:
https://www.pschyrembel.de/Physiologisch/A0UD5/doc/

Geschrieben wird vielfach, 20 Tropfen ätherisches Öl würden 1 ml ergeben.

Richtig ist:
Abhängig vom (deutschen) Tropfeinsatz, der Dichte, Viskosität und Oberflächenspannung des jeweiligen ätherischen Öls entsprechen 1 ml ätherisches Öl zwischen 23 Tropfen (z. B. Bergamotte) und 46 Tropfen (z. B. Cassiazimt).

Quelle: Steflitsch W., Wolz D., Buchbauer G., Heuberger E., Stadelmann I. (Hrsg.): Aromatherapie in Wissenschaft und Praxis. Stadelmann-Verlag, 2021.
Zu lesen ist oft, Sheabutter enthalte eine Reihe kostbarer Inhaltsstoffe, darunter auch Allantoin, welches entzündungshemmende und wundheilende Eigenschaft besitzt.

Richtig ist:
Allantoin wirkt hautberuhigend und pflegend, fördert die Zellregeneration und unterstützt die Wundheilung. Sheabutter enthält zwar viele wertvolle Fettbegleitstoffe, aber nachweislich kein Allantoin, denn es ist wasserlöslich. Weder in der rohen (unraffinierten) noch in der desodorierten Sheabutter ist Allantoin enthalten, auch dann nicht, wenn diese aus Vitellaria paradoxa ssp. nilotica gewonnen wird.

Quellen:
https://www.haut.de/inhaltsstoffe-inci/inci-detail/?id=636 
https://www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=Allantoin
Die Analysen des BAV Institutes (05.08.2020) liegen dem Verein vor.
Häufig wird behauptet, künstliche (synthetische) Duftstoffe würden sich teilweise im Körper anreichern, während ätherische Öle verstoffwechselt werden könnten.

Richtig ist:
Beim Riechen von Duftstoffen besitzen die Anreicherung und die Verstoffwechselung einen geringen Stellenwert, denn die Mengen, die beim Riechen und Schnuppern über die Nasenschleimhaut resorbiert werden, sind vernachlässigbar gering.

Über die Haut wird ein größerer Anteil an Duftstoffen aufgenommen. Physiologische Reaktionen sind zweifelsfrei möglich, wie wissenschaftliche Studien belegen. Aufnahme und Verteilung sind von verschiedenen Faktoren abhängig. Zu Bioverfügbarkeit, Metabolismus und Elimination von ätherischen Ölen und ihren Inhaltsstoffen sind bislang zwar erst wenige wissenschaftliche Daten verfügbar, doch eine Anreicherung im Fettgewebe wurde auch für Duftstoffe aus ätherischen Ölen beobachtet.

Bei Einzelstoffen, die strukturell vollkommen gleich sind (auch im Hinblick auf ihre Chiralität), wie bspw. R-(–)-Linalool, R-(–)-Carvon oder L-Menthol, macht das humane Metabolom nach unserem derzeitigen Wissensstand keinen Unterschied zwischen aus natürlichen Quellen gewonnenen und vom Menschen hergestellten Varianten.

Synthetische Duftstoffe, ohne Entsprechung in der Natur, sind im Labor entworfene Moleküle. Inwieweit diese vom menschlichen Organismus metabolisiert und eliminiert werden können, ist weitgehend unbekannt. Hierbei sollte auch nicht aus den Augen verloren werden, was diese Stoffe möglicherweise bei und in anderen (Mikro-)Organismen in Böden und Wasser bewirken, in die sie am Ende auch gelangen werden.

Quelle: Steflitsch W., Wolz D., Buchbauer G., Heuberger E., Stadelmann I. (Hrsg.): Aromatherapie in Wissenschaft und Praxis. Stadelmann-Verlag, 2021.
Behauptet wird:
Der Limonengehalt ist bei den Zitrusschalenpressungen mehr oder weniger identisch.

Richtig sind folgende Limonengehalte:

Bergamotte

32-48 %

Limette

50-61 %

Zitrone

56-78 %

Mandarine

65-75 %

Grapefruit

92-97 %

Orange

92-97 %

Quelle: Steflitsch W., Wolz D., Buchbauer G., Heuberger E., Stadelman I. (Hrsg.): Aromatherapie in Wissenschaft und Praxis. Stadelmann-Verlag, 2021.

Weit verbreitet sind:
falsche oder verzerrte Aussage zur Qualität ätherischer Öle in Arzneibuchqualität „Arzneibuchöle“.

Richtig sind folgende Aussagen zun den ätherischen Ölen


„Arzneibuchöl“„Handelsübliches Öl“
Ausgangsmaterialeine oder mehrere Arten / Chemotypeneine definierte Stammpflanze / Chemotyp
Anbaukeine Differenzierung; strenge Reinheitskriterien (Kontaminanten)I. d. R. wird freiwillig unterschieden: kbA, konventionell, Demeter, Wildsammlung
GewinnungWDD oder KaltpressungWDD oder Kaltpressung
InhaltsstoffeInhaltsstoffe müssen den Monographien entsprechenZusammensetzung kann Schwankungen unterliegen
Zusätze, Nachbehandlungkeine, lediglich Antioxidantien sind erlaubt. Nachbehandlung sind deklarationspflichtig, z. B. Bergamotte bergaptenfreikeine, i. d. R. ohne Zusätze. Rektifizierte Öle im Handel z. B. Bergamotte bergaptenfrei
Fazitkeine synthetischen Öle, keine Extraktion mit Lösungsmitteln, Nachbehandlungen müssen gekennzeichnet werden.keine synthetischen Öle, keine Extraktion mit Lösungsmitteln, Veränderungen müssen nicht gekennzeichnet werden.

Quelle: F·O·R·U·M Sonderausgabe 2021

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